Bücher aus Leipzigs Partnerstädten: Brno, Folge 5

Zwischen Brno und Berlin – Schreiben aus der Außenperspektive

„In Berlin nehme ich endlich diesen befreienden Zustand wahr: Ich bleibe jetzt für immer eine Fremde in der Inselwelt, deren Ufer vom entfernten, im Grunde langweiligen Deutschland umspült werden“, schreibt Dora Kaprálová in ihrem Buch „Inseln“.  Die Mittvierzigerin aus Brno ist Radioautorin, Schriftstellerin und Kritikerin und lebt seit 2007 in Berlin. Was ursprünglich als ein kurzer Zwischenstopp von zwei Jahren gedacht war – ihr damaliger Mann hatte ein Jobangebot bekommen und sie ging mit -, wurde zum Wahlexil.  Aus Brünn ist Berlin geworden, hier schreibt sie ihre Bücher, hier gehen ihre Kinder in die Schule. Und doch stimmt es nicht ganz. Gern vergleicht sich die Autorin mit einer Tillandsia, einer „luftigen Pflanze ohne Wurzeln“, denn meist pendelt sie beruflich und privat zwischen Berlin, Brünn, Budapest und vielen anderen Orten. „Meine Sprache ist meine Heimat, ansonsten bin ich Mitteleuropäerin, und das ist ein befreiendes Gefühl“, sagt Kaprálová.

Der zuletzt erschienene Erzählband „Inseln“ versammelt einundzwanzig Geschichten, einundzwanzig Inseln des begrenzten Daseins, wohl inspiriert vom eigenen Inseldasein in Berlin. Hie knüpft sie erzählerisch und stilistisch an das 2018 auf Deutsch veröffentlichte „Berliner Notizbuch“. Auch darin erweist sie sich als eine so genaue wie verträumte Beobachterin, die in ihren immer leicht melancholisch gestimmten Texten poetische Ausflüge unternimmt und den Erzählfaden weiterspinnt – von sich zu anderen, von Beobachtetem zu Gedachtem, Imaginiertem, Geträumtem. Zart, schmerzlich, menschlich. Ihre einundzwanzig Reisen führen mal weit weg, mal um die Ecke, aber immer zu den Menschen, zu ihren Seelen, wenn man so will. Denn die Seele, das erfährt man auch aus der Lektüre, spielt eine große Rolle. In diesem Jahr erscheinen zwei neue Bücher von ihr auf Tschechisch: Ein Erzählband zum Thema Leiden in ihrem Brünner Verlag Druhé Město und ein illustriertes Horrorbuch für Kinder – vielleicht werden sie ja eines Tages ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzung ihres Erstlings „Das Winterbuch über die Liebe“, einer Novelle, die als Antwort auf Péter Esterházys „Eine Frau“ entstand, soll noch in diesem Jahr kommen.

Anna Kow ordnete im Eröffnungsinterview dieser Kolumne die Stadt Brno in Richtung magischer Realismus ein. (kreuzer 01/22, siehe www.kreuzer-leipzig.de) – die Lektüre der pendelnden Brünnerin Dora Kaprálová bestätigt das allemal.

Ein Beitrag von Martina Lisa im Leipziger Stadtmagazin kreuzer 05/22
(Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.)

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